
24/06/2025 0 Kommentare
Kirche neu denken – Inspiration aus den Niederlanden
Kirche neu denken – Inspiration aus den Niederlanden
# Evangelisches Leben

Kirche neu denken – Inspiration aus den Niederlanden
Wie können evangelische Kirchen in einer Zeit des Rückgangs kreativ und zukunftsorientiert handeln? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer viertägigen Studienreise in die Niederlande, an der 16 kirchlich engagierte Personen aus der Evangelischen Kirche in Österreich (EKiÖ) und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) teilgenommen haben. Ziel war es, neue Impulse für Kirchenentwicklung und pionierhafte Initiativen kennenzulernen – unter anderem an Ausbildungsstätten, in Gemeindelaboren und sogenannten Pioniersplekken.
Praxisnah und zukunftsorientiert – Theologische Ausbildung in Bewegung
Ein zentraler Eindruck war die starke Verbindung zwischen Theorie und Praxis an den theologischen Ausbildungsstätten in Utrecht. Die Protestantse Theologische Universiteit und die Theologische Universiteit Utrecht integrieren kirchliche Entwicklungsprozesse systematisch in Studium und Weiterbildung. Das Bild einer Theologie im „Elfenbeinturm“ findet man dort kaum – stattdessen enge Kooperation mit lokalen Projekten und Freikirchen, ein missionstheologischer Ansatz und die Bereitschaft, Glaube kontextuell zu leben. Ein BA reicht zum Pfarramt, 50 % der Kirchengebäude werden in den kommenden zehn Jahren schließen oder umgenutzt – das zeigt: Wandel ist Realität.
»Gott ist schon da« – ein neuer Missionsbegriff
Statt Gott »hinzubringen«, gehen niederländische Initiativen davon aus: Gott ist längst vor Ort – in der Nachbarschaft, in der Stadt, im Café. Diese Theologie der Missio Dei zieht sich durch Universitäten, Kirchenämter und Pioniersplekken. Der Fokus liegt nicht auf dem Erhalt institutioneller Strukturen, sondern auf der Frage: Wie kann das Reich Gottes hier und heute sichtbar werden?
Kleine Kerne, große Wirkung
Die besuchten Pioniersplekken – etwa in Amsterdam, Rotterdam und Tilburg – zeigen eindrücklich, wie kleine engagierte Gruppen geistlich tragfähig sein können. Ein Beispiel: das Hemelsbreed-Café in Amsterdam. Es zählt rund ein Dutzend aktive Personen, hat aber durch niedrigschwellige Angebote wöchentlich Kontakt zu rund 200 Menschen. Die klassische Unterscheidung zwischen „drinnen“ und „draußen“ verliert hier an Bedeutung – das Gemeindeleben verläuft in offenen Kreisen.
Integration statt Abgrenzung – Pionierorte mit Ortsgemeinde-Anbindung
Was als alternative Szene begann, ist heute strukturell eingebettet: Neue Pionierinitiativen in den Niederlanden werden mittlerweile in Anbindung an bestehende Ortsgemeinden gefördert. Das schafft Synergien und verhindert Konkurrenzdenken. Rund 75 % der einstigen 200 Pioniersplekken bestehen weiterhin. Eine inspirierende Botschaft: Alt und Neu müssen kein Gegensatz sein.
Mosaik statt Monopol – ein respektvolles Neben- und Miteinander
Ob Volkskirche, Freikirche, Pionierprojekt oder interreligiöse Initiative – die Kirchenlandschaft in den Niederlanden funktioniert als Mosaik. Es herrscht ein Grundton gegenseitiger Wertschätzung. Kooperationen mit Moscheen im Stadtviertel sind ebenso selbstverständlich wie das Engagement von Muslim:innen in kirchlichen Projekten. Kirche wird hier als öffentlicher Raum für Mitgestaltung verstanden.
Lernen, indem man Kreise zieht
Drei Modelle pionierhaften Handelns wurden vorgestellt:
- Welcoming – die klassische Gemeinde mit einladender Struktur,
- Seeking – Menschen suchen punktuell Anschluss (z. B. nach Taufen),
- Sending – Gemeinden senden gezielt Menschen in neue Kontexte.
Diese kreisförmigen Denkmodelle ermöglichen neue Sichtweisen auf Gemeindeentwicklung und helfen, realistische Erwartungen zu formulieren.
Die zwei Krisen der Kirche – und was wir daraus lernen können
Ein Artikel aus der Zeitschrift Ecclesial Futures bringt es auf den Punkt: Die eine Krise ist der sichtbare Rückgang – weniger Mitglieder, Geld, Gebäude. Die andere, oft übersehene Krise: Kirche verliert ihren Auftrag aus den Augen. Die Reise zeigte: In den Niederlanden richtet man den Blick stark auf diesen zweiten Aspekt. Es geht nicht um Reparaturbetrieb, sondern um Glauben als geteilte, gelebte Hoffnung.
Ausblick für Österreich
Die Erfahrungen aus den Niederlanden stoßen in der EKiÖ auf Resonanz. Besonders das Prinzip, neue Initiativen zu fördern – nicht nur die »hippen«, sondern auch die leisen, kleinen – stärkt die Haltung des Ausprobierens. Gerade in Zeiten, in denen kirchliche Mittel knapper werden, gilt: Innovation braucht Ermutigung, kleine Gruppen brauchen Unterstützung, und das Evangelium lebt davon, dass Menschen es im Alltag sichtbar machen.
Fazit: Die Reise hat gezeigt, dass Kirche auch anders sein kann – näher bei den Menschen, offener im Denken, kreativer im Handeln. Für die Zukunft der EKiÖ könnte das heißen: weniger Angst vor dem Weniger, mehr Mut zum Erneuern.
Nähere Informationen und der vollständige Bericht nach einer Studienfahrt von Susanne Zippenfenig (EKiÖ) findet sich hier.
Kommentare