Missbrauch in der Psychotherapie: Wenn Vertrauen zerstört wird

Missbrauch in der Psychotherapie: Wenn Vertrauen zerstört wird

Missbrauch in der Psychotherapie: Wenn Vertrauen zerstört wird

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Missbrauch in der Psychotherapie: Wenn Vertrauen zerstört wird

Wer sich in psychotherapeutische Behandlung begibt, tut dies oft in einer verletzlichen Lebenslage – mit Hoffnung auf Hilfe, Klärung und Linderung. Doch was, wenn genau dieses Vertrauen ausgenutzt wird? Der ZDF-Beitrag »Missbrauch in der Psychotherapie: Zerstörtes Vertrauen, Scham und Schuld« beleuchtet auf erschütternde Weise, wie gravierend Übergriffe im therapeutischen Setting sein können – und wie schwer es ist, Gerechtigkeit zu erlangen.

Das Machtgefälle in der Therapie

In jeder Therapie besteht ein strukturelles Ungleichgewicht. Der/die Therapeut/in verfügt über Fachwissen, Deutungsmacht und die Fähigkeit, tiefe seelische Prozesse zu begleiten – oder im Schlimmsten Fall negativ zu manipulieren. Gerade weil Patient:innen in einem Zustand psychischer Not kommen, ist ihre Abhängigkeit hoch. Genau diese Abhängigkeit ist es, die Täter:innen ausnutzen.

Ein Fall aus der Sendung zeigt, wie ein approbierter Therapeut wiederholt Frauen sexuell missbraucht hat – ohne rechtlich vor Gericht belangt zu werden. Die Betroffenen sprechen von »Scham«, »Verwirrung« und »sprachloser Wut«. Sie haben sich trotz aller innerer Widerstände entschieden, gegen den Mann vorzugehen. Doch leider ohne Erfolg.

Missbrauch hat viele Gesichter

Sexualisierte Übergriffe sind eine besonders schreckliche Form von Grenzverletzung in der Therapie. Doch Missbrauch beginnt oft schleichend:

  • unangekündigtes Duzen,

  • scheinbar zufällige Berührungen,

  • überzogene Nähe oder private Kontakte,

  • Schweigegebote,

  • Rollenumkehr (z. B. Patientin soll dem Therapeuten helfen),

  • Manipulation mit Drohungen oder überhöhter Idealisierung.

Der Ethikverein, eine der wenigen Anlaufstellen für Betroffene in Deutschland, spricht von rund 1.400 Missbrauchsfällen jährlich – die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. 80 % der Betroffenen sind Frauen, 88 % der Täter sind Männer.

Der Preis des Schweigens

Die Folgen sind verheerend: Menschen, die eigentlich Heilung suchen, werden retraumatisiert. Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehungen, in die eigene Wahrnehmung und sogar in das Konzept der Hilfe selbst wird zerstört. Manche Überlebende berichten von Identitätsverlust, Depressionen, Suizidgedanken. Die Psychotherapie, ein Ort der Genesung, wird zum Tatort – und die Institution beschädigt sich selbst.

Andrea Schleu vom Ethikverein fordert eine grundlegende Veränderung:

  • Mehr Ausbildung zu Grenzverletzungen in Psychotherapie und Justiz,

  • längere Verjährungsfristen,

  • verpflichtende Fortbildungen für Staatsanwälte und Richter,

  • bessere Qualifikation von Gerichtsgutachter*innen,

  • niedrigschwellige Beratungsangebote für Betroffene.

Vertrauen ausnutzen - ein generelles Phänomen

In den meisten Fällen von Missbrauch besteht ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Täter oder der Täterin und der betroffenen Person. Diese Nähe und mögliche Abhängigkeit wird vom Täter oder von der Täterin häufig ausgenutzt. Missbrauch findet nicht dabei nicht nur in der Psychotherapie statt. Sexualisierter Missbrauch findet größtenteils im nahen sozialen Umfeld statt, aber auch an Schulen, in Sportvereinen etc. Auch die evangelische Kirche in Österreich kennt Fälle von Missbrauch. Ähnlich wie in der Psychotherapie ist dabei das Vertrauensverhältnis asymmetrisch – und kann ausgenutzt werden. Deshalb hat die Evangelische Pfarrgemeinde Kufstein ein Gewaltschutzkonzept entwickelt. Darüber hinaus gibt es:

  • eine Ombudsstelle Gewaltschutz der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich,

  • die Möglichkeit, sich anonym oder vertraulich an externe Stellen wie den Weißen Ring zu wenden.

Missbrauch untergräbt nicht nur einzelne Biografien, sondern auch das Fundament ganzer Institutionen. Wenn dort, wo Menschen Hilfe suchen, Gewalt geschieht, verlieren diese Orte ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit. Das ist die eigentliche Katastrophe – und es ist an uns allen, hinzuschauen und Strukturen zu schaffen, die Täter stoppen und Betroffene schützen. Alle Bereiche, wo Vertrauen die Grundlage des Handelns ist, brauchen klare Regeln, Schutzmechanismen und eine Kultur des offenen Wortes. Vertrauen ist kein Geschenk – es ist ein hohes Gut. Wer es verletzt, trägt Verantwortung. Wer es schützt, rettet Leben.


Kontakt bei Missbrauch in Therapie oder Seelsorge:


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