Lutheraner in Siebenbürgen: Die besondere Geschichte einer reformatorischen Minderheit

Lutheraner in Siebenbürgen: Die besondere Geschichte einer reformatorischen Minderheit

Lutheraner in Siebenbürgen: Die besondere Geschichte einer reformatorischen Minderheit

# Evangelisches Leben

Lutheraner in Siebenbürgen: Die besondere Geschichte einer reformatorischen Minderheit

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Siebenbürger Sachsen als Flüchtlinge oder Heimatvertriebene nach Tirol. Auch in Kufstein fanden sie eine neue Heimat. Sie prägten mit ihrer Geschichte und ihrem Glauben das evangelische Gemeindeleben vor Ort mit. Wer die Wurzeln dieser Menschen verstehen möchte, muss zurückblicken auf ein bemerkenswertes Kapitel europäischer Kirchengeschichte: die Reformation in Siebenbürgen.

Frühe Aufnahme der Reformation

Die Siebenbürger Sachsen übernahmen die Reformation früh. Bereits um 1520 verbreiteten sich Luthers Gedanken in den städtischen Zentren Siebenbürgens, vor allem unter dem gebildeten Bürgertum in Hermannstadt. In privaten Häusern wurden reformatorische Predigten gehalten, deutsche evangelische Lieder gesungen und Kritik an bisherigen kirchlichen Bräuchen geäußert. Dies führte zu ersten Spannungen mit der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit.

Kronstadt (heute Brașov) wurde zum Zentrum der siebenbürgischen Reformation. Dort wirkte der Humanist Johannes Honterus, der die Reformation ab 1542 nach dem Vorbild Wittenbergs einleitete. Honterus gründete eine Druckerei, verfasste eine Kirchenordnung und Schulverfassung und ließ ein evangelisches Gesangbuch drucken. Damit wurde Kronstadt zur ersten Stadt Europas, die sich offiziell der Reformation anschloss.

Neben Martin Luther hatte Philipp Melanchthon großen Einfluss. Viele siebenbürgische Theologen studierten in Wittenberg, oft direkt bei Melanchthon. Seine Schulreformideen wurden in Siebenbürgen aufgegriffen, ebenso seine theologische Zurückhaltung in strittigen Fragen wie dem Abendmahlsverständnis. Melanchthon wurde zur prägenden Autorität der sächsischen Kirche.

Religiöse Vielfalt und Toleranz

Siebenbürgen entwickelte sich im 16. Jahrhundert zu einer Region religiöser Vielfalt. Der Landtag beschloss 1568 Verkündigungsfreiheit für die anerkannten Konfessionen. 1595 wurde diese Mehrkonfessionalität gesetzlich verankert: Katholiken, Lutheraner, Reformierte und Unitarier wurden als "Religionen mit Rechten" (religiones receptae) anerkannt. Die rumänisch-orthodoxe Bevölkerung wurde zumindest geduldet. Zwar bevorzugten die jeweiligen Fürsten oft ihre eigene Konfession, doch im europäischen Vergleich bot Siebenbürgen ein hohes Maß an rechtlich gesicherter religiöser Koexistenz.

Nach der Niederlage Ungarns bei Mohács (1526) wurde Siebenbürgen ein weitgehend autonomes, dem Osmanischen Reich tributpflichtiges Fürstentum. Diese politische Konstellation ermöglichte es den Lutheranern, ihre kirchlichen Strukturen auszubauen. Superintendenten wie Paul Wiener und Matthias Hebler verankerten die lutherische Theologie dauerhaft im Bereich der "Nationsuniversität" der Sachsen. Dabei blieb die Verbindung von Kirche und Schule zentral.

Vom Reformationsgedächtnis zur diakonischen Tat

Im 19. Jahrhundert wurde die Reformationsgeschichte bewusst gepflegt. Man erinnerte an die Kronstädter Reformation nicht nur in Worten, sondern auch in Werken. 1883, im Gedenken an Luthers 400. Geburtstag, wurden in Hermannstadt ein Waisenhaus und eine Pflegeanstalt gegründet. Die Reformation wurde so nicht nur als historische Erinnerung verstanden, sondern als Verpflichtung zu Nächstenliebe und Bildung.

Im 20. Jahrhundert wurde das lutherische Selbstverständnis in Siebenbürgen mehrfach politisch instrumentalisiert: Erst durch nationalistische, später durch nationalsozialistische Ideologien. Nach dem Zweiten Weltkrieg besann sich die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien wieder bewusst auf das theologische Erbe Martin Luthers. In schwieriger politischer Lage während der Zeit des Kommunismus verteidigte sie ihre Eigenständigkeit gegen staatliche Einflussnahme, unter anderem durch Bezug auf Luthers Zwei-Reiche-Lehre.

Heute

In Siebenbürgen, leben heute etwa 10.000 deutschsprechende Menschen, darunter viele, die sich als Siebenbürger Sachsen verstehen. Von diesen deutschsprachigen Bewohnern sind nach wie vor viele evangelisch-lutherisch und gehören der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien an. Die Zahl der Lutheraner unter den Siebenbürger Sachsen ist also zwar kleiner als die gesamte Anzahl der Deutschsprachigen, aber noch immer relevant.


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